2007-09-23

Und dann Tschüss gesagt.



Die letzte Woche vor dem endgültigen Abschied war anstrengend aber schön. Trotz allem. Als ich Montag in Berlin die Urne zum Flug eingepackt habe, habe ich noch einen Blick auf ihr Foto geworfen, das mitkommen sollte und gesagt: „Jetzt bringe ich Dich nach Hause.” Zustimmung in der Zwiesprache gefühlt, ein warmes Gefühl. Da war sie ganz lebendig.

Beim Security-Check-In in Schönefeld sagt der Beamte sehr freundlich als er die Tüte mit der Urne in eines der Behältnisse hebt „Gott, ist das schwer. Was ist das denn? Glas?” Ich antworte: „Das wollen Sie nicht wirklich wissen, glauben Sie mir.” Als mir klar wurde, wie unhöflich das geklungen haben musste, habe ich nachgeschoben: „Das ist jetzt nicht böse gemeint.” Er war so nett und ich muss hingegen so zickig gewirkt haben. Später erst fiel mir auf, wie dreist das eigentlich war, einem Sicherheitsbeamten gegenüber …

Die Landung auf dem Flughafen in Palma war sehr schwer. Auf dem Weg zur Gepäckabgabe ständig heulen müssen – doch dann wurde es immer besser. Als wir bei Andrea die Urne neben ihren Budsudan aufstellten, wusste ich, sie ist angekommen. Schönheit im Gefühl.



Am Freitag packte ich die Urne in den Rucksack und zog mit ihr gemeinsam durch Palma an jeden Ort von dem ich wusste, das er ihr wichtig war oder ich mit ihr schöne Erinnerungen mit ihr hatte. Ich besuchte jedes Café oder Bar, die wir gemeinsam besucht hatten und trank dort mit ihr nochmals einen letzten Cafè con leche. Ich zeigte ihr das Museum es Baluard, dass sie nicht mehr besuchen konnte. Wir hatten mittags unser letztes Pamb'oli, wir besuchten ihr erste Wohnung in Palama, wir fuhren mit dem Bus nach Col d'en Rabassa, wir gingen auch dort an alle Orte, die ihr wichtig waren, wo sie sich wohl fühlte, zu ihrer zweiten Wohnung. Ich ging mit ihr an ihren Strand, für sie nochmals baden. Wir besuchten ihre liebste Freundin Elisabeth und deren Katzen nochmals – und das war ein sehr schöner friedlicher Tag, der mir gut tat. Gerade der Abschied zwischen ihr und Elisabeth war so wichtig. Mir ist klar, wie merkwürdig sich das alles lesen mag. Aber mein Bauch sagte mir, ich sollte das so tun. Ich habe es getan und es war das Beste, was ich für mich und uns tun konnte.



Für den Sonntag, ihrem 65. Geburtstag und dem Tag ihrer Ascheübergabe an die Insel und das Meer haben wir um elf Uhr zum Morgengongyo eingeladen. Es kamen viele, die ihr Auf Wiedersehen sagen wollten. Andere, die sie länger kannten, sind schon nicht mehr auf der Insel. Und es kamen auch zwei Frauen, die sie nur einmal gesehen hatten – nicht in einem ihrer besten Momente – und trotzdem dabei sein wollten. Was einfach eine schöne Geste und unterstützend war. Das war ein schöner Morgen. Danach saßen wir noch zusammen in der Sonne bei Café und Kuchen und führten die typischen „unsere Mütter”-Frauengespräche.

Mittags haben wir uns zu fünft auf den Weg gemacht, einen letzten Café in einem von ihr geliebten Orte zu uns genommen, mit ihr. Und sind dann zu der Stelle gefahren, wo sie hinwollte und sollte und haben uns an den Abstieg gemacht. Eine schöne Wanderung von ca. 40 Minuten durch Olivenhaine, Feigenbäume, dem Glockenklang der Schafe im Hintergrund, Sonne am Himmel, Pinienbäume, eine traumhafte Aussicht auf's Meer. Etwas, was kein Friedhofsgang einem hierzulande bieten kann. Und dabei waren wir fröhlich, haben gelacht, unterwegs ein Sandwich gegessen – ein Spaziergang mit lieben Menschen eben. Einer Urne. Drei Erwachsene, zwei Kinder. Und drei Hunde.



An der Stelle, die wir einige Tage zuvor als den Platz auserkoren haben, haben mich meine Leute noch mal anderthalb Stunden mit ihr alleine gelassen, was auch gut so war. Als sie zurück kamen, haben wir unser Picknick gemacht und mit dem Abendgongyo angefangen. Irgendwann kamen zwei Wanderer vorbei, die sicher ihren Spaß mit uns betenden Figuren dort hatten. Aber es war sehr schön, in der Abendstimmung vor dem Meer und die Urne nebenbei zu chanten. Es hat mir Kraft und Gelassenheit gegeben, das zu tun.



Als die Sonne zwischen den schmalen Streifen zwischen der Wolkendecke heraustrat (es war ausnahmsweise bedeckt), um im Meer zu versinken, habe ich einen Teil ihrer Asche um einen Baum gestreut, einen anderen Teil den Felsen hinab ins Meer.



Dorthin ging auch ihre Urne (dank meiner Wurfinkompetenz nicht ohne noch einmal den Felsen zu küssen) und ich mag nun die Idee, dass sich vielleicht eine kleine Muräne das Behältnis als neue Behausung aussucht und darin häuslich niederlässt.

Natürlich hatte ich zum Öffnen der Urne daran gedacht einen Schraubenzieher mitzubringen und diesen schön im Auto vergessen. Geöffnet habe ich sie mit einem spitzen Stein und einem Stück Holz als Hebearm. Der erste Anblick der Asche, vor dem ich soviel Angst vorher hatte, hinterließ nur einen Eindruck: schön. Es ist eine sehr schöne helle klare Farbe von weiß und kleinen schwarzen Punkten. Die Asche selber besteht nicht nur aus den Flocken, sondern auch aus sehr kleinen Kügelchen. Aber sie hat wieder einmal mehr überhaupt nichts mehr mit dem zu tun gehabt, was meine Mum ausgemacht hatte. Das war der Moment des rationalen Abschieds von dem, was man so gerne physikalisch in diese Urne und ihren Inhalt hinein impliziert. Ganz klar und deutlich in einem kleinen Moment. Das wirklich einzig Wichtige, was bleibt von einem Menschen, bleibt ausschließlich im Herzen derer, die ihn geliebt haben. Und im Kopf.

Die Asche eines Menschen ist also nichts, wovor man Angst haben müsste. Und ja, die Asche eines Menschen staubt. Und auch ja, man möchte hinterher gerne duschen und die Kleidung wechseln. Vor allem wenn man zu viel auf einmal auskippt, staubt es gewaltig und man steht in einer Wolke. Aber wisst ihr was? Das ist nicht mal schlimm. Im Gegenteil. Ich lache jetzt noch darüber. Die Asche riecht auch gut. Es war, als rieselte sie mit Freude ihrer Freiheit entgegen und tanzte ihren fröhlichen Tanz in der Luft.

So war meine Mum. Es war ein schöner glücklicher und vollkommener Moment. Schöner ging es nicht. Und selbst der Sonnenuntergang, der bei weitem nicht so bombastisch war, wie die Sonnenuntergänge, die sie dort so liebte, der war so eigen und einmalig an diesem Abend, wie ihn diese Stelle selten erleben wird.



Dann haben wir ihr noch Seifenblasen



anstelle von Blumen hinterher geschickt und als wir fertig waren und uns zum Aufstieg angeschickt haben, habe ich mich noch einmal umgedreht und konnte sie dort mit sehr viel Glück im Herzen lassen. Vor dem Moment hatte ich Angst, denn meine Gefühle waren für die Zeit danach mangels Erfahrung ja nicht wirklich planbar. Aber es war einfach schön, sie dort zu lassen und zu wissen, jetzt ist sie frei, sie ist dort, wo sie immer sein wollte und sie wird jetzt jeden Abend traumhafte Sonnenuntergänge haben. Und eine perfekte Aussicht.



Ich habe jetzt sehr viel Frieden in mir. Und ich würde es wieder tun, es hat sich gelohnt. Es war natürlich sehr aufregend und vor allem anstrengend und ich bin auch immer noch sehr müde und körperlich wie ausgebrannt, aber ich bin glücklich für sie und habe meinen Frieden mit ihrem Tod mit diesem Abschied machen können. Und sie hat den allerbesten Platz der Welt für sich bekommen!

20 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Das ist ein traumhafter Ort, an dem du deine Mutter bestattet hast. Es ist schön zu lesen, dass du Abschied nehmen konntest, Tschüss gesagt hast und jetzt ist deine Mutter an diesem tollen Strand. Da sind deutsche Friedhöfe weitaus weniger reizvoll :)

Anonym hat gesagt…

ein sehr bewegender Bericht über einen - wie sicher nicht nur ich finde - schönen Abschied von einem lieben Menschen. Klingt komisch, aber Sie verstehen sicher, wie das gemeint ist. Und wie Herr Exit schon angemerkt hat, ein traumhafter Ort für einen solchen Abschied und um zur Ruhe zu kommen.

Anonym hat gesagt…

sehr schöne und passende bilder :-0

Anonym hat gesagt…

Ein sehr ergreifender, wunderschöner Bericht einer liebenden Tochter an ihre Mum. Die Bilder unterstreichen den sehr gefühlvollen Text und die Idee mit den Seifenblasen ist eine himmlische.
Kann nur ergriffen mein Haupt senken ...

Cecie hat gesagt…

es liest sich so schön und ich hab tränen in den augen. ich bin unendlich glücklich, dass es für dich so und nicht anders gewesen ist...

wenn sich jemand so viel gedanken und seelenmühe um einen menschen macht, dann muss der in seinem leben viel richtig gemacht haben und ein wunderbarer mensch gewesen sein, der viel hinterlassen hat. ich bin mir sicher, das weiss sie und auch, was für einen tollen menschen SIE gemacht hat.

ich meld mich später, vllt. hab ich ja glück und erwisch dich.

Anonym hat gesagt…

Ich habe den Text mehrmals gelesen da ich ihn so rührend finde, jedoch hat mich irgenetwas an dieser einfühlsamen Geschichte gestört. Ich habe es: es ist das "Tschüss". Ein "Adieu", ein "Auf Wiedersehen" würde besser dazupassen, das "Tschüss" klingt viel zu hart für das, was folgt. Sorry

creezy hat gesagt…

@the exit, liisa
Ja, dieser Ort ist ein sehr guter Ort. Ich werde ihn immer mögen, das Gefühl hat man bei Friedhöfen wo die Liebsten liegen oftmals nicht. Alleine zu wissen, sie ist da jetzt im warmen …

@michael
merci

@kurt
Auf die Idee mit den Seifenblasen kam ich hier in Berlin auf einem Spielplatz. Sie mochte Seifenblasen immer sehr. Und mit ihnen schließt sich auch der Kreis zur Kindheit, es passte zu ihr. Außerdem war Taomi, der Sohn von Andrea sehr begeistert davon (Seifenblasen scheint es in Spanien in der Form nicht zu geben) und hat viel mehr für sie gemacht, als ich es hätte tun können. Den ganzen Weg zurück. Also noch jemandem eine Freude damit gemacht, besser geht nicht.

Das „Tschüss“ ist völlig okay, denn es ist das, was wir uns immer zum Abschied gesagt haben. Familiensprache. Glaube mir, das passt hier. ,-)

@cecie
Nicht weinen. ,-) Ich hatte eine tolle Mum, auch trotz aller Probleme und Schwierigkeiten, die man mit Müttern hat und die ich gerade zum Schluss mit ihr hatte. Sie hatte nur das Beste vom Möglichen verdient und ich bin froh, dass sie das nun auch bekommen hat. Danke Süße! ,-)

bhuti hat gesagt…

Ein wunderschöner Abschied an einem sehr schönen Ort. Ich freue mich für Dich, dass Du Deinen Frieden mit ihrem Tod hast machen können.

Jekylla hat gesagt…

Wunderschoen. Ich bin sehr beruehrt.
Und da klingt nichts merkwuerdig. Wirklich nicht. Im Gegenteil. Perfekt. Fuer Euch beide.

Anonym hat gesagt…

So traurig das alles für Dich war, ich freu mich, dass Du so einen Abschied finden konntest.
Ich drück Dich und wisch mir auch ein Tränchen ab. ;-)

Narana hat gesagt…

Dem kann ich nix hinzufügen, ist alles schon gesagt.

r|ob hat gesagt…

Frieden für beide - schöneres kann man einfach nicht lesen...

Anonym hat gesagt…

Hier verwandelt sich ein "Mein Beileid" automatisch zu einem "herzlichen Glückwunsch zu der wunderschönen Feier" ...ist Dir eigentlich bewußt, wie stark Du bist ?? Nochmal herzlichen Glückwunsch zu diesem gelungenen Abschied!

Anonym hat gesagt…

hallo creezy, ganz deine sache, entschuldige. habe mir erlaubt auf diese storx hinzuweisen.
http://senfundkren.wordpress.com/2007/09/24/holy-fruit-salad-und-abschied/

kaltmamsell hat gesagt…

Wundervoll. Ich freue mich sehr für Dich, dass Du so ein guten Gefühl dafür hast, was Dir gut tut.

Anonym hat gesagt…

wunderbar - die geschichte und die bilder. grossartig.

Anonym hat gesagt…

.

Anonym hat gesagt…

Hat mich sehr berührt. Danke.

creezy hat gesagt…

@all
Merci, aber nicht weinen, Kinders. Wenn nur eine/r aufgrund meiner Erfahrung den Mut findet, es für sich anders zu wollen oder es für jemanden anders zu gestalten, dann freut es mich.

Mir geht es jedenfalls immer noch gut.

Anonym hat gesagt…

Ich lese das erst jetzt. Eine sehr berührende Geschichte. Meine Mutter hat sich ähnliches gewünscht. Vorstellen mag ich mir das aber alles gerade nicht.

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