2009-10-13

Ein Brot namens Hilde …



Dieser Text stammt aus einem Artikel, der in einer Frauenzeitschrift (wenn ich noch wüsste, welche …?) russische Frauen vorstellte. Gutes schmackhaftes Brot ist mittlerweile auch hierzulande ein Luxus. Davon abgesehen, dass für so manchen von uns hierzulande auch weniger gutes schmackhaftes Brot schon ein Luxus sein wird.


Das Walchenbrot - Roggenschrot und geröstete Walnuss, mein absoluter Favorit

In Berlin gibt es eine Straße, die Bergmannstraße, sie verbindet den Südstern über den Marheinekeplatz mit dem Mehringdamm, um als Kreuzbergstraße fortgeführt tatsächlich den Kreuzberg zu seinen Füssen umschmeicheln. Die Bergmann war früher guter solider Kreuzberger Kiez, so etwas wie der Ku-Damm aber für die Berliner Subkulturenten. Türkische Antiquariate, Second Hand-Kluft kiloweise in Hinterhöfen, ansonsten ein Mix aus Gothic-Klamottenläden mit einem bisschen Blümchen-Kosmetik, die völlig überschätzte Kaffee-Rösterei einer Amerikanerin und dem ersten Berliner Schuh-Outlett, Knofi wurde hier geboren, es gab eine schöne rustikale Alt-Berliner Markthalle. In den Querstraßen Comic-Läden, Möbelaufbereiter und der Friseur, der berlinweit erstmals bei Vollmond schnitt – viele der Geschäfte im Souterrain, Kohlenkellerverkaufspolitik.

Man hat die Markthalle vor zwei Jahren restauriert und viele deutlich überteuerte Fresstempel in ihr installiert – alles ist schön mulitkulti. Alleine der Umsatz schwächelt offensichtlich hier und dort, denn manchem Käsestand möchte man empfehlen den Käse, der es sehr offensichtlich hinter sich hat, aus dem Tresengeschehen zu entfernen. Die Markhalle schön offen in der Transparenz der klinischen Postmoderne gehalten, ihr und damit dem Markthallenkauf den eigentlich Reiz genommen, vermutlich hatte niemand außer den Investoren und Architekten jemals nach kontinentaler Übersicht in einer Markthalle gefragt. Alleine der kleine Stand in der Ecke, der Drogeriebedarf, Sonnenbrillen und Lotto feil bietet, führt noch den Urberliner Flair einer vergangenen Tante Emma-Exotik. In der Folge der Markthallenmutation hat sich auch die Bergmannstraße zur neuen Berliner Fressmeile gewandelt, verkrampft wollte man gegen den Wandel der Ost-City westlich anstinken. Nun also viel Öko-Kost, unzählige In-In-Thais und SlowFood-Style, dessen Tempo sich qualitativ bis zur Bedienung manifestiert. Man mag kaum glauben, wie sehr sich die neue Qualität der SlowFood-Bewegung in der zeitlichen Dauer – ab ihrer Bestellung eine Flasche Vitell in PET-Flasche endlich auf den Tisch gestellt zu bekommen – manifestieren mag. Die türkischen Antiquariate (ungeputzes, unsortiertes Silber) haben abgenommen oder sich plötzlich zu gehobenen Verkaufstellen von geputzem, sortierten Silber entwickelt, den exorbitanten Aufschlag im neuerdings Festpreis übersehen wir galant. That's the way love goes.

Der Ostblock

Und weil die Bergmannstraße von der Miete her jetzt ein teures Pflaster geworden ist, jede Designmarke hier glänzen möchte und auf der attraktiven Höhe dieser neuen ganzjährigen Halloween-Meile keine Gewerbeflächen mehr zu ordern sind, breitet sich das elitäre Fressen über ihre Grenzen aus und füllt inzwischen auch die bis vor kurzem kommerziell brachliegende letzte Ecke vom Südstern mit sinnlosem Design und gourmanden Leben. Das alles kann man gut finden und auch ablehnen. Hier und da will man es gerne wertschätzen. Zum Beispiel bei einem Angebot wie dem von SoLunda® Brot und Oel GmbH. Im Laden steht der Steinbackofen, die Zutaten sind aus kontrolliertem biologischen Anbau. Die Brote aus Hefe heißen „Blues“, „Jazz“, „Tibeter“ oder „La Boule“. Aus der Sauerteig-Ecke bestellt man den „Ostblock“, das „Hildegardbrot“ oder „Walchenbrot“. Diese Brote kosten meist über 5 Euro das Kilo, sind damit penetrant teuer. Aber sie werden auch gerne in kleinen Mengen abgegeben und geschmacklich trifft man auf eine Qualität, die man hierzustadt lange vermisst hat und daher gerne bezahlt.

Nun denn, Euro 5,60 für ein Kilo Brot sind immerhin knappe elf Ex-Deutsche Mark! Irgendwas sollte dann an der Lieferung gefälligst auch stimmen.


Hildegardbrot (nach Hildegard von Binnen, nur echt mit Galgant und Fenchel.)

Wenigstens ist deren Homepage noch echt Web 1.0. Gneisenaustraße 58, 10961 Berlin, Öffnungszeiten in der Woche 10:00-20:00 Uhr, Sa. 8:00-16:00 Uhr, Donnerstags auf dem Öko-Markt am Wittenbergplatz, Samstag auf den Märkten am Hackeschen Markt und Lehniner Platz zu finden.

Ach, und echtes Schwarzbrot gibt es da auch. Heißt „Schwarzkorn“ und dürfte in Berlin eine Rarität sein.

4 Kommentare:

bel hat gesagt…

Was die Soluna-Brote ihr Geld wert macht, ist der Sauerteig. Der ist nämlich richtiger Sauerteig und nicht so'n Treibszeugs aus dem Chemiebaukasten.

Falls du öfter mal vorbeikommst, lauere mal auf das Pan Ligure. Das haut dich um.

Gruß bel

Anonym hat gesagt…

Den Laden gibt es schon einige Jahre länger als die neue Markthalle...

creezy hat gesagt…

@bel
mache ich, bin da noch lange nicht durch (obwohl ich dieses in olivenöl mit kräutern geröstete Brot nicht so mag …)

@anonym
ja, gibt es. Aber die Gegend drum herum hat sich erst in den letzten Monaten so massiv „entwickelt“.

Anonym hat gesagt…

Drehen wir es mal um: Es ist ein Wunder (und ein Resultat des jahrzahntelangen Engagements und Kampf der Bewohner, dass sich die Bergmannstrasse und Umgebung so lange so halten konnte. Für mich ist das u.a. dem Inverstoren-Desaster Viktoriaquartier zu verdanken. Wenn das früher, schon Ende der 90er so geklappt hätte, wie es die Immo-Entwickler geplant hatten, dann wäre es früher gekommen.

Ein andere Punkt ist, dass Anfang der 80er Jahre ein Sanierungskonzept durchgesetzt wurde, dass sich an den Bedürfnissen der Bewohner orientierte. Das hat den Wohnstandard niedrig und die Mieten billig gehalten. Vor zwei Jahren wurde der Kiez aus der Sanierung entlassen. Die Millieuschutzverordnung von 2003 hatte eher eine beschleunigte Wirkung, das die "Herstellung des normalen Wohnstandards" hier schon Aufwertung bedeutet. Nun, 25 Jahre später, beginnt auch die natürlich, demographische Fluktuation einzusetzen.

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