2015-09-05

Ein wahr gewordener Traum

Es gibt ein Foto von meinem Vater mit meinem Bruder am See in einem kleinen Holzboot. Mich gab es damals auch schon aber ich war noch zu klein zum Boot fahren. Meine Eltern hatten zu dieser eine Gartenparzelle in Kladow. Langer Holzbau mit kleinen Unterteilungen, wo man sich gerade mal bei Regen drinnen aufhalten wollte. Schlafen konnte man dort, wenn auch ungerne. Es war die Zeit in dem sich mir als sehr kleines Kind erstmals kleine Bruchstücke im Gehirn fest setzten. Dunkles Grundstück, viel Insekten. Als viel lieber gewonnene Alternative in meinem kleinen Kinderherzen dazu der Garten meiner Großeltern, der immer in der prallen Sonne lag und mir somit schon als kleinem Lebewesen mehr ins Gemüt passte.

Irgendwann erhielten meine Eltern die Kündigung, angeblich sollten die Parzellen abgerissen werden und einem neuen Bau weichen. Ich meine, diese Holzbauten heute noch in Kladow stehen zu sehen. Vermutlich konnte meine Mutter einfach die Pacht nicht mehr zahlen, es war die Zeit in der mein Vater schon viel zu viel trank und regelmäßig seine Jobs verlor.

Ungefähr als ich acht Jahre alt war, ich besuchte die dritte Klasse, flatterte uns ein Wertheim-Prospekt ins Haus in dem ein orange farbiges Kajak abgebildet war, in das ich mich sofort verliebte. Ich schlich bei Wertheim bzw. Hertie in den damals noch deutlich umfangreicher ausgebauten Sportabteilungen rum und himmelte diess Boot auch in der Realität an. Der Deal mit meiner Mutter war dann, dass ich es bekommen sollte, würde ich in die vierte Klasse nur mit Einsen und Zweien auf dem Zeugnis kommen.

Und dann besaß ich ein Kajak!

Wenn ich heute überlege, was so ein Boot damals schon wog und ich es trotzdem mit großer Begeisterung nach der Schule von zu Hause zum Bus mit häufigem Umsteigen bis zum Wasser schleppte und abends nach Hause, es muss wirklich die ganz ganz große Liebe gewesen sein. Im Schnitt fängt so ein Boot bei 10 Kilo Eigengewicht an – ohne Blasebalg und Paddel.

Meine Mutter schleppte mich dann über eine Bekannte von einem Bekannen einmal am Wannsee in einen Kajak-Verein. Ich sollte mir angucken, ob mir der Sport so Spaß machen würde. Ich setzte mich in ein Kajak, von der Stabilität her eine ganz andere Herausforderung als mein gemütliches PVC-Kajak und paddelte mutig in dem kleinen abgegrenzten Bereich am Verein auf dem „großen Wasser”, bis die anwesenden Herren auf die Idee kamen meinen Wildwassertauglichkeit zu testen und schmissen an einem Boot den Motor an und drehten diesen Hoch, ich sollte im Strudel der Schiffsschraube paddeln. Ich hatte Angst, dann Panik, ich weinte, ging an Land und wollte nie wieder diesen Verein von innen sehen.

Ich erinnere aber großartige Sommer mit meinem eigenen Boot. Ich war ein sehr glückliches Kind in diesem Boot auf dem Wasser. Dieses glückliches Kind verlieh das Boot einmal an meinen Bruder und ich sah das Kajak nie mehr wieder. Über ein Jahrzehnt später – mein Bruder war damals schon auf seinem Wunsch hin aus unserem Leben verschwunden – riefen mich völlig fremde Menschen an, um mir zu sagen, sie hätten mein Boot im Keller aber es sei kaputt.

Der Schmerz saß lange.

Ich habe eine große Liebe zum Wasser. An und auf dem Wasser geht es mir gut, ich fühle mich dort sicher und frei. Da war immer der Traum vom Bootsschein. Segeln ist nicht so so sehr mein Ding, Speedboote sind‘s auch nicht. Gemütlich schippern, da fühle ich mich wohl bei. Paddeln finde ich großartig, weil noch etwas Sport dabei ist und man aufgrund der Bauweise der Boote fast ein bisschen im Wasser sitzt und man so eine Einheit bildet. Dieser Geruch, das Gluckern … ich liebe das sehr.

Einer der schönsten mich tragenden Tage im vergangenen Jahr war ein Tag im ausgeliehenen Kajak auf dem Müggelsee. Wenngleich diese Kajaks vom Handling her eine Strafe waren, es war ein Tag voller Frieden, Glück und ich konnte lange von diesem einen Tag zehren. Und da war der Wunsch nach einem eigenen Boot war wieder ganz nah.

Als es mir vor einigen Wochen krankheitsbedingt ziemlich mies ging, hat mir ein sehr sehr lieber Mensch einen, diesen Herzenswunsch erfüllt. Gestatten, dass ich vorstelle:
„»Die« Theo Lingen”:



Das Besondere an der „Theo Lingen” ist, sie ist mein! Sie fährt mit mir mit den öffentlichen Verkehrsmitteln auf einem Trolley mit Pumpe und Paddel (bzw. neu im Rucksack). Sie ist sehr schnell aufgepumpt und seetüchtig und paddelt gemeinsam mit mir seit einigen Wochen über die Berliner Gewässer. Wir üben noch ein bisschen den Abbau aber auf dem Wasser sind wir mittlerweile ein gutes Team. Ich fühle mich sicher und langweile mich fast schon auf allzu stillen Seen. Ich muss noch lernen richtig zu entspannen, neue Touren bringen natürlich auch immer etwas Aufregung mit sich, der Unkenntnis der Strecke geschuldet.

Als wir das erste Mal auf dem Wasser waren, an der Havel, ging es mir hinterher richtig schlecht. Ich war zu angespannt, zu aufgeregt und obwohl ich schon vorsichtig war mit der ersten Strecke und mich vermeintlich nicht überanstrengen sollte/wollte, war ich am Ende richtig fertig. Zudem war der Tag zu heiß. Mir tat die ganze Nacht der Arm weh, als wollte er sich direkt in eine Sehnenscheideentzündung begeben; der Rücken schmerzte. Sport ist Mord. Kurz: ich war fürchterlich verunsichert, ob meines Wunsches und seiner Erfüllung.

So bin ich die nächsten sehr heißen Tage lieber mit Rad erst Strecken abgefahren, um zu gucken, wo ich an für mich neuen Wassergebieten gut mit den Öffentlichen ran komme. Denn das frühere übersichtliche Angebot an befahrbaren Strecken ist seit meiner Kindheit im Westen durch die „hinzugekommenen” Gewässer im Osten riesengroß geworden. Berlin ist eine wundervolle Stadt für den Wassersport. Wenn ich mir ansehe, wo ich überall im ehemaligen Ostteil der Stadt und ihrer Umgebung noch wundervolle Touren fahren kann, wird mir ganz schwindlig vor Überschwang!

Mittlerweile sind wir gemeinsam schon einige schöne Touren gefahren und wachsen immer mehr zusammen. Ich finde das Boot wunderschön, qualitativ ist es sehr gut und ich bin froh, meine Entscheidung zugunsten genau dieses Bootes getroffen zu haben. Langsam wachsen auch die Paddel prima in die Hände (man benutzt ja Muskeln beim Paddeln, die man auch schon länger nicht mehr gespürt hatte) und unsere Touren werden immer länger. Und ich dabei immer glücklicher. Und entspannter.



Wir treffen unterwegs nette Menschen und haben interessante Gespräche. Ich sehe Berlin von der anderen Seite als von der bekannten Straßenseite und die Stadt und ihre Umgebung wird dabei jedes Mal ein Stück entzückender. Die Sonne motiviert, die Natur verschönt uns den Tag und dieses Boot macht mein Leben gerade ganz reich und ein großes Stück leichter und mein Gemüt luftiger als es noch vor einigen Wochen war.

Ich bin so froh!

Dankeschön für dieses wertvolle Geschenk!

5 Kommentare:

Bhuti hat gesagt…

Ich freue mich, dass Du etwas gefunden hast, was Dir so gut tut.

kaltmamsell hat gesagt…

Oh, das freut mich! Das Bötchen sieht hinreißend aus, und ich kann mir Dich sehr gut darin vorstellen.

Barbara hat gesagt…

Wie schön, das freut mich so für dich! Lasst es euch gut gehen, du und die Theo Lingen!

Anonym hat gesagt…

auch wenn ich dem paddeln nicht die Symphatie entgegenbringe wie Du, was mich aber für Dich freut, da jeder etwas braucht was Spaß macht!
hier zwei Links für Dich, die hilfreich sind 1. http://www.wsa-b.de/schifffahrt/freizeit/index.html und 2. https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Karte_der_Berliner_Wasserstra%C3%9Fen.png
viel Spaß, 400 km wollen entdeckt werden !!

creezy hat gesagt…

@bhuti
Dankeschön. Ja, das tut sehr gut. Ungeahnt gut! ;-)

@kaltmamsell
Ich fürchte, ich sehe wirklich fürchterlich chic darin aus. Jedenfalls grinse ich immer sehr dümmlich vor mich hin darin. ;-)

@Barbara
Dankeschön! Es ist wunderhübsch oder? Ach, und es hat so viel Charme!

@Anonym
Vielen Dank für die Links! ;-) Und ich verstehen, dass Paddeln nix für jedermann ist. Aber … probieren sollte man es mal. Es muss ja nicht immer gleich Wildwasser sein. ;-)

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