2017-06-21

Die Oma ist tot

Die Oma meiner Freundin ist kurz nach Ostern gestorben. Ihr erinnert Euch?

Weihnachten hatte meine Freundin schon so ein Gefühl aber da haben wir sie mit vielen Besuchen, ebenso vielen Sprotten (Omas Lieblingsessen) und ein paar ordentlichen Hinterntritten in des im gleichen Haus ansässigen, gerne die elektronischen Gesundheitskarten der älteren Damen der Demenz-WG sich auf sein Konto buchen lassende, sich sonst aber nicht weiter um die Damen kümmernde Hauarzt, der sich dann doch nach einige Szenen ihrer Schmerzen medikamentös annahm, wieder hinbekommen. Und zwar ohne großes Untersuchungsgedöns, die Enkeltochter (und da bin ich inhaltlich voll bei ihr), war nämlich der Meinung, dass es überhaupt nicht von Interesse ist, ob die Dame nun mit 103 Jahren ein Magenkarzinom eventuell hätte oder nicht. Das man ihr einfach Schmerzmittel geben sollte und gut ist es die wenige Zeit, die sie aus offensichtlichen Gründen noch leben würde.

Oma wollte unbedingt noch 105 Jahre alt werden. Denn sie wollte unbedingt den Köpenicker Bürgermeister treffen, weil sie ihm ein paar Dinge zu sagen hatte. Darauf hatte sie sich schon sehr zu ihrem 100. Geburtstag gefreut, da ließ aber das Bürgermeisteramt verlauten, der Bürgermeister käme nun nur noch zu den 105-Jährigen, ihm würden zu viele Leute mittlerweile 100 Jahre alt werden, das bekäme er nicht mehr im Terminplan unter. Tsja, nun kann er Oma nicht mehr kennenlernen, diesen klugen, direkten, herzlichen, immer die Wahrheit sagenden Menschen. Wer keine Zeit hat, versagt sich damit durchaus Chancen!

Im Februar ist Oma dann doch noch 104 Jahre alt geworden. Immer stolz darauf eigentlich noch die Fitteste in ihrer WG zu sein. Was sie – zumindest immer dann, wenn ich da war – auch wirklich war. Ihre Enkeltochter hat sie immer erkannt, die war ihre große Liebe. Mich guckte sie immer an als wäre da im Hintergrund etwas gewesen. Aber schlussendlich kam ich immer mit der Enkeltochter, also musste ich okay sein. Und ich kümmerte mich und machte Späße mit, was war es da von Interesse, ob sie sich an mich erinnerte oder nicht? Es war zu schön zu sehen, wenn die beiden, Oma und Enkeltochter, sich in die Augen guckten und ihre Witze rissen voller Liebe, Vertrauen und Zärtlichkeit, da ist einem das Herz übergeblubbert vor lauter Freude. Was für ein Glück, sie zusammen zu sehen.

Oma hatte eines Tages schwarzen Stuhl, was soviel bedeutet wie Blut im Stuhl und die Pflege ist dann angewiesen dafür zu sorgen, dass die ihr anvertrauten Menschen bestmögliche ärztliche Versorgung erhalten, also sorgten sie für die Einweisung ins Krankenhaus. Dort stellte man nach unangenehmen Untersuchungen fest, die Oma nun natürlich nicht verstehen konnte, dass sie Blutungen im Magen hätte und man fing an die im Sterbeprozess aufgehenden Gefäße unter Betäubung zu veröden.

Das war der Moment als meine Freundin endlich davon erfuhr, ihrerseits ins Krankenhaus fuhr und Himmel und Hölle heiß machte, damit Oma wieder zurück in ihr Zuhause gebracht wurde zum friedvollen Sterben. Sich öffnende Gefäße sind bei einer so alten Dame ein Zeichen des Abschieds. Da kann man natürlich noch monatelang die Frau quälen und immer wieder veröden (stellt Euch selbst an dieser Stelle mit 104 Jahren vor, wie man Euch regelmäßig den Schlauch in den Magen schiebt und während der Spiegelung verödet. Vielleicht betäuben sie Euch, vielleicht auch nicht. Kostet ja Geld, bis wir so alt werden, werden wir der Gesellschaft noch weniger wert sein als heute schon uns die alten Menschen in dem kaputt gesparten Pflegesystem.)

Die Familie fand das mit dem Krankenhaus gut, denn da war Oma doch versorgt. Meine Freundin hatte wohl einen leicht entgleisenden Moment als die Ärztin ihr hinsichtlich der gewünschten Entlassung entgegnete, dann würde die Oma aber jetzt sterben. Nach dem entgleisten Moment hatte diese dann auch verstanden, dass das durchaus ein unumstößlicher Lebensmoment sein könnte bei einer so alten Frau, den man sie in Würde zu Hause beschreiten lassen könnte. Manchmal liegt es in der Verantwortung der Angehörigen die Ärzte aus ihrem Heilzwang zu holen, dieser permanente Auftrag Menschen zu behandeln, zu heilen, der lässt Ärzte manchmal den Blick wohl auf die Realität verlieren. Angehörige, die das Sterben einer 104-Jährigen für sich ausklammern und unmögliche Erwartungen stellen, machen da die Arbeit nicht angenehmer. Man sollte sich der Verantwortung für einen Menschen, auch will man ihn nicht gehen lassen, durchaus bewusst sein.

Oma kam wieder in ihr Zuhause zurück, das ihr die Demenz-WG über die letzten Jahre geworden war und nahm der Enkeltochter das Versprechen ab, sie nicht alleine zu lassen. Und so blieben die beiden die letzte Woche mehr oder weniger – von Besuchen ihres Ehemannes, ihres Sohnes also Omas Urenkel und dem Hund – für sich und meine Freundin blieb bei ihr und begleitete sie rund um die Uhr. Ab und an guckten verschreckte Pfleger oder souveräne Pfleger rein, waren aber alle sichtlich froh mit der Aufgabe nicht alleine gelassen zu sein.

Der Rest der Familie ließ Oma alleine sterben. Obwohl meine Freundin – die nun im Hospiz arbeitet und daher durchaus weiß, wann sie einen sterbenden Menschen in seiner finalen Phase vor sich hat – ihnen sehr deutlich machte, dass Oma nun tatsächlich gehen wird. Der Rest der Familie meinte, Oma sei doch in guter Pflege in der Wohngemeinschaft. Gute Pflege bedeutet in dieser WG – und das wussten sie alle – dass dort ein Pfleger für sechs Personen alleine zuständig ist, von denen sich einige der Damen nicht mehr alleine bewegen können. Dass ein Pfleger in einer solchen WG nicht zwangsläufig Erfahrung mit dem Sterben hat (meist werden die Patienten dort, wenn es ihnen schlechter geht, in die Vollpflege in ein Pflegeheim übergeben), dass so ein Pfleger überhaupt keine Zeit hat am Bett zu sitzen und einer Sterbenden die Hand zu halten. Dass die Pfleger wohl nur ab und zu in das Zimmer gegangen wären, die Frau sicherlich liebevoll wie üblich versorgt hätten mit den nötigen Dingen, aber dass sie nun mal keine palliative Pflege machen könnten. Mindestens wegen dem Zeitmanagement.

Diese Familie, alle beiden Töchter, Enkel und Urenkel hätten die Oma dort (oder im Krankenhaus) alleine sterben lassen. Leute, die sich keinen Kopf machen, was es heißt, wenn in einem Altersheim eine Nachtschicht 60 Leute alleine versorgen soll, glauben an eine gute Pflege hierzulande. Im Vergleich zu vielen Altenheimen in diesem Land, wäre Oma vielleicht sogar dort noch richtig gut betreut gewesen. Niemand aus dieser Familie hatte bei Omas (unwürdiger) Beerdigung meine Freundin gefragt, wie Oma gestorben sei oder etwa, wie es meiner Freundin damit ginge. Sie war ja „in guter Pflege.”

Bei meiner Freundin hängen Fotos am Kühlschrank, die sie mit Oma zeigen. In ihrem Sterbebett. Beide gucken bei Oma im Bett auf diesen Fotos ganz fröhlich und lachen in die Kamera. Oma war ja nicht die ganze Zeit weggetreten, Oma schlief viel, Oma atmete zum Schluss schwer, Oma war aber zwischendurch immer wieder wach und machte Späße und wünschte ihrer liebsten und zu ihr immer so zuckersüß gewesenen Enkeltochter alles Liebe und dass sie immer glücklich sein möge! Oma hatte bis zum Schluss immer noch Liebe zu geben. Vielleicht hätte sie diese Liebe auch noch einmal mit ihren Töchtern, anderen Enkeln und Urenkeln geteilt und ihnen mit auf den Lebensweg gegeben. Aber diese besondere Chance der Liebe hat sich der Rest der Familie versagt. Und das ist es, was ich Euch mit diesem Text auf den eigene Weg geben möchte: Sterben kann manchmal viele schöne Dinge für das Leben der Anderen bewirken. Versagt Euch und Euren Angehörigen das nicht aus falscher Angst heraus!

Sonntag früh ist Oma dann eingeschlafen.

Ich bin traurig, dass ich nicht bei ihr sein konnte, weil ich an dem Wochenende nun gerade in Apulien war. Ich hätte gerne meine Freundin unterstützt und wäre gerne an der Seite dieser ganz besonderen, so liebevollen Frau gewesen, die so viel Liebe in ihre Enkeltochter verpflanzt hatte und ihr sehr viel von ihr mitgegeben hatte. Und die sie sehr sicher in den letzten Tagen sehr liebevoll begleitet und gut gepflegt hatte.

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