2017-12-06

Anschreiben

Beim Supermarkt um die Ecke bis vor kurzem noch ein Kaiser's, nun Kaiser's-Edeka genannt, ist vor mir eine Frau an der Kasse und im Gespräch mit der Kassiererin als es um die Bezahlung mit der EC-Karte geht, fällt der Satz „Na, wenn ich nicht bei Ihnen anschreiben kann." Übliche Floskeln und als ich an der Reihe bin, sagt die Kassiererin zu mir „Na, das kennt doch heute keiner mehr, dieses Anschreiben lassen.”

Woraufhin ich antwortete, dass ich das sehr wohl noch kennen würde, denn in der Sesenheimer Straße in der wir früher in Charlottenburg wohnten, gab es einen Tante Emma-Laden, Lebensmittelfeinkosthandel, der auf minimalster Ladenfläche das absolute Maximum an Lebensmitteln und Haushaltsprodukten bereit hielt mit frischer Wurst, Käse, Milch. Brot nur abgepackt, denn dafür gab es noch kleine Bäckereien im direkten Umfeld. Für uns Kinder dauerte die Bedienung immer ewig lange, den es wurde nicht nur jede georderte Wurst frisch zugeschnitten, es mussten zwischendurch natürlich auch noch alle nachbarschaftlichen Neuigkeiten ausgetauscht werden. Die Jascheks, ich habe keine Ahnung, ob ich deren Namen richtig schreibe. Ich glaube, die Mutter hieß noch Erna Jaschek, Tante Jaschek, später wurde der Laden von den Töchtern übernommen. Der Laden zog irgendwann um die Ecke in die nächste Querstraße, war etwas größer und für damalige Verhältnisse etwas schicker – und ja, man bekam dort alles, man erfuhr dort alles, man erlebte dort alles – und am Ende des Monats, wenn es knirsch wurde, durften Kunden auch schon mal anschreiben lassen.

In den alten Laden zog damals, wenn ich es richtig erinnere, ein junger unbekannter Designer namens Uli Richter ein.

Tatsächlich wusste man durch Jascheks immer sofort, wenn z. B. ein Nachbar verstorben war. Damals gab es kein: „Mensch, die habe ich ja lange nicht mehr gesehen.” „Ach, die ist doch schon seit sechs Monaten tot!” Überhaupt Wohnungsdiskussionen, an die kann ich mich auch noch sehr gut erinnern. Wir hatten ja damals im Westen dieser Stadt nichts, vor allem keine Wohnungen.

Apropos anschreiben. Die Preise wurden immer auf Kneipenzettelblöcke geschrieben. Es gab Süßigkeiten für uns Kinder für ein paar wenige Pfennige und ich wurde von Oma als auch Mama (da rächte sich das gemeinsame Leben in einem Haus auf einer Etage für uns Kinder gelegentlich) unzählige Male aus dem vierten Stock nach nebenan geschickt, weil man wieder einmal irgendeine wichtige Zutat vergessen hatte. Ich glaube, wir Kinder konnten gar nicht schnell genug groß genug werden, damit man uns endlich schicken konnte.

Den Geruch von Jascheks, wenn man den Laden betreten hatte, den habe ich nie wieder gefunden. Der starb damals leider schon mit dem Umzug. Als ich die letzten Male dort einkaufen war, als erwachsene Frau, erkannte man mich die mittlerweile hoch betagten Damen nicht einmal mehr. Damit starb dann der besondere Zauber. Meine Oma ging dort längst nicht mehr gerne einkaufen, Jascheks waren halt deutlich teurer als diese neuen Supermärkte in der Wilmersdorfer Straße und diese verfügten über Rolltreppen. In Jascheks Laden kam man nur über drei hohe Stufen in das Ladenlokal – eine schmerzhafte zu hohe Barriere für meine in den Knien schwer mit Arthrose geplagte Großmutter.

2 Kommentare:

Foodfreak hat gesagt…

Anschreiben lassen kennen noch viele Leute... beim türkischen Gemüseladen, der mich durch die letzten zweieinhalb Jahrzehnte meines Lebens begleitet hat, kann man auch heute noch anschreiben, zumindest als Stammkunde.

Anonym hat gesagt…

Die FF plaudert mal aus dem Nähkästchen:

'Anschreiben' kenne ich noch aus der Buchhandlung. Und das ist noch gar nicht soooo lange her. Wir hatten unter dem Kassentresen das 'Anschreibebuch' liegen. Eine einfache Schulkladde.

Sehr gute Kunden durften diesen Service nutzen. Also ein Klientel, das durchaus über die nötigen Mittel verfügte, bar bezahlen zu können. Alle paar Wochen verschickten wir dann eine Rechnung über den angesammelten Betrag.

Ich habe immer noch den lässig ausgesprochenen Satz im Ohr: "Schreiben Sie das bitte ins Buch".

Das 'Buch' wurde in diesem Fall nicht als Peinlichkeit, sondern als ein Privileg empfunden.

6/12/17 12:14

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