Posts mit dem Label familienfundus werden angezeigt. Alle Posts anzeigen
Posts mit dem Label familienfundus werden angezeigt. Alle Posts anzeigen

2023-04-07

Frauengespräche

Neulich war ich im Kramladen (TKmaxx), schlawendelte durch die Kofferabteilung (ich mag Kofferabteilungen, keine Ahnung warum) und da rannte ein Kind rum. Sehr zielgenauund ohne einen anzurempeln. Aber rannte halt rum. Und ich dachte bei mir: „Kind, was rennst du hier so rum?” Und plötzlich bog das Kind von der einen Seite um die Ecke, um die ich gerade von der anderen Seite bog und dann guckten wir uns an, danach fielen wir uns in die Arme. Es war meine Großcousine.

Das Rumgerenne, wie sich später heraustellte, als Kompensation, um dem familiären Kofferdiskurs zu entgehen. Drei verschieden farbige Koffer gegen drei andere verschiedenfarbige Koffer – für das eine Set hegte die Großcousine (und Cousine) Zuneigung. Für das andere der Großcousin. Der ein bisschen schmollte, weil die Chancen für ihn nicht gut standen.

Dass erst das eine Set (Großcousine) gekauft wurde, um es wieder umzutauschen und dann das andere Set gekauft wurde (Großcousin) lag dann an den Henkeln. Das merkt man manchmal erst, wenn man den halben Laden durchschritten hat.

Jedenfalls ist die Familie mit Koffern versorgt und wir gingen Kaffee trinken.

Letztes Jahr hatte ich der Großcousine zur Einschulung ein Taschenmesser geschenkt. Kein Kindermesser mehr, sondern eines für das ganze Leben, wenn sie darauf aufpasst. Das legendäre Taschenmesser aus der Schweiz in rot mit Korkenzieher, Schraubendreher und Schere. Das gleiche Messer hatte ich mir auch zum Geburtstag gewünscht und geschenkt bekommen. Schwarz. Dann kommt es nicht zu Verwechselungen. Gleiche Konfiguration. Hatte mich sofort daran geschnitten.

Jedenfalls fing Großcosuine mit mir ein fachmännisches Taschenmessergespräch an. Ob ich auch eines hätte. Ob ich es dabei hätte. Ob meines auch eine Schere hätte u.s.w.

Ich glaube, sie findet das gut, das mit dem Taschenmesser. Und wird nicht so schnell vergessen, von wem sie es hat. Tolle Maus!

2022-07-18

Menschenskinder!

Freitag war ich mit meiner Cousine und den beiden Kindern im Labyrinth Kindermuseum im Wedding, das ich nur jedem ans Herz legen mag. Wir hatten wirklich eine tolle Zeit dort.

Der kleine Großcousin wird derzeit aktiver zum Lesen animiert. Er hat wohl ein bisschen die in unserer Familie vorkommende Lese- und Schreibschwäche geerbt, vielleicht ärgern dabei auch medizinisch notwendige Eingriffe an seinem Kopf als Baby.

Er hat also gelesen. Die Bildbeschriftungen bzw. Aufgabenstellungen. Ich finde, er liest sehr gut. Er ist zehn Jahre alt und geht auf eine integrative Schule, wo das Lernen sicher nicht immer einfach ist. Und er hat einen großen Teil seiner Schulzeit die Ärgernisse dieser Covidzeit aushalten müssen in der sich – zumindest in seiner Schule, was meine Cousine so berichtet hatte – die Lehrer sich nicht mit allzuviel Ruhm, Engagement und Kreativität hervor getan hatten.

Ich finde sogar, er liest fantastisch! Klar noch nicht fließend und Betonung fehlt auch noch. Er sucht die Buchstaben sehr gut zusammen. Und korrigiert das Wort selbst in der Aussprache, wenn er es als solches erkennt. Aber er macht das wirklich toll und ich finde auch schon eher fließend als stockend. Mir ist schon früher (vor Covid) aufgefallen, dass er sehr früh sehr gut lesen konnte. (Und ich kann das beurteilen, das einzige Talent, das ich in der Schule wirklich unter Beweis gestellt hatte im gewinnen von Lesewettbewerben, war: das Lesen.) Und jetzt würde ich wirklich gerne wissen, warum dieser kleine tolle Junge sich mit einem Prädikat „Lese- und Schreibwäche” herum plagen muss. Himmel vierte Klasse. Warum werden Kinder in der vierten Klasse schon so negativ beurteilt in Dingen, die sie doch gerade im Lernprozess erst sich erarbeiten?

Das hatte mir sehr weg getan, dass er nicht mein Lob annehmen konnte – sondern selber von sich sagt, er könne das noch nicht gut.

Kleiner wundervoller talentierter Junge. (Es gab Kinderbücher für die Ferien.) Möge er bitte bitte nie den Spaß am Lesen verlernen!

2017-12-06

Anschreiben

Beim Supermarkt um die Ecke bis vor kurzem noch ein Kaiser's, nun Kaiser's-Edeka genannt, ist vor mir eine Frau an der Kasse und im Gespräch mit der Kassiererin als es um die Bezahlung mit der EC-Karte geht, fällt der Satz „Na, wenn ich nicht bei Ihnen anschreiben kann." Übliche Floskeln und als ich an der Reihe bin, sagt die Kassiererin zu mir „Na, das kennt doch heute keiner mehr, dieses Anschreiben lassen.”

Woraufhin ich antwortete, dass ich das sehr wohl noch kennen würde, denn in der Sesenheimer Straße in der wir früher in Charlottenburg wohnten, gab es einen Tante Emma-Laden, Lebensmittelfeinkosthandel, der auf minimalster Ladenfläche das absolute Maximum an Lebensmitteln und Haushaltsprodukten bereit hielt mit frischer Wurst, Käse, Milch. Brot nur abgepackt, denn dafür gab es noch kleine Bäckereien im direkten Umfeld. Für uns Kinder dauerte die Bedienung immer ewig lange, den es wurde nicht nur jede georderte Wurst frisch zugeschnitten, es mussten zwischendurch natürlich auch noch alle nachbarschaftlichen Neuigkeiten ausgetauscht werden. Die Jascheks, ich habe keine Ahnung, ob ich deren Namen richtig schreibe. Ich glaube, die Mutter hieß noch Erna Jaschek, Tante Jaschek, später wurde der Laden von den Töchtern übernommen. Der Laden zog irgendwann um die Ecke in die nächste Querstraße, war etwas größer und für damalige Verhältnisse etwas schicker – und ja, man bekam dort alles, man erfuhr dort alles, man erlebte dort alles – und am Ende des Monats, wenn es knirsch wurde, durften Kunden auch schon mal anschreiben lassen.

In den alten Laden zog damals, wenn ich es richtig erinnere, ein junger unbekannter Designer namens Uli Richter ein.

Tatsächlich wusste man durch Jascheks immer sofort, wenn z. B. ein Nachbar verstorben war. Damals gab es kein: „Mensch, die habe ich ja lange nicht mehr gesehen.” „Ach, die ist doch schon seit sechs Monaten tot!” Überhaupt Wohnungsdiskussionen, an die kann ich mich auch noch sehr gut erinnern. Wir hatten ja damals im Westen dieser Stadt nichts, vor allem keine Wohnungen.

Apropos anschreiben. Die Preise wurden immer auf Kneipenzettelblöcke geschrieben. Es gab Süßigkeiten für uns Kinder für ein paar wenige Pfennige und ich wurde von Oma als auch Mama (da rächte sich das gemeinsame Leben in einem Haus auf einer Etage für uns Kinder gelegentlich) unzählige Male aus dem vierten Stock nach nebenan geschickt, weil man wieder einmal irgendeine wichtige Zutat vergessen hatte. Ich glaube, wir Kinder konnten gar nicht schnell genug groß genug werden, damit man uns endlich schicken konnte.

Den Geruch von Jascheks, wenn man den Laden betreten hatte, den habe ich nie wieder gefunden. Der starb damals leider schon mit dem Umzug. Als ich die letzten Male dort einkaufen war, als erwachsene Frau, erkannte man mich die mittlerweile hoch betagten Damen nicht einmal mehr. Damit starb dann der besondere Zauber. Meine Oma ging dort längst nicht mehr gerne einkaufen, Jascheks waren halt deutlich teurer als diese neuen Supermärkte in der Wilmersdorfer Straße und diese verfügten über Rolltreppen. In Jascheks Laden kam man nur über drei hohe Stufen in das Ladenlokal – eine schmerzhafte zu hohe Barriere für meine in den Knien schwer mit Arthrose geplagte Großmutter.

2017-09-16

Happy Birthday kleine Mum!



75. Fünfundsiebzig Jahre wäre sie heute geworden, wenn sie noch hier wäre.



So viel Veränderung, Vermissen in den letzten elf Jahren, die sie nicht mehr am Leben ist. Ich hätte mir keine bessere Mutter wünschen können, eine Mutter die eine Löwin war für ihre Kinder; die so viele Opfer gebracht hatte, um mir meine Wünsche zu erfüllen – trotz immer widriger Umstände. So offen, herzensgut, liebevoll, stark in den wichtigen Moment und doch auch schwach. Die immer Menschen die Hand reichte und ihnen ein Ohr lieh.

Happy Birthday kleine Mum, wo immer Du jetzt auch mit wem bist!

gez. ganz viel Liebe

2017-01-24

Geburtstagswünsche einer künftigen 104-Jährigen

Heute mit der Freundin zweite Etappe der noch etwas andauernden Tour „Pflegeheim für die Eltern” angucken. Dann eine schöne Runde über den kleinen Kudamm von Friedrichshagen mit dem Hund gedreht. Das Kleindörfliche genossen. Mitgebrachte Suppe wie die Camper im noblen Auto gegessen. Gute Rinderknochen mit Fleisch für den Hund beim echten Metzger erworben. Füße abgefroren.

Dann weiter nach Köpenick die Oma von ihr in ihrer Demenz-WG besucht. Wir haben uns nicht angemeldet und sie überrascht – und es war schön zu sehen, wie deutlich besser es ihr geht seit die Enkelin in der WG beim Personal und Arzt im Haus Rabatz gemacht hatte, damit die sich endlich um ihre Magenschmerzen kümmern. Sie selbst gehört ja noch zu dieser Generation „gejammert wird nicht.” (Zumindest nur über ihre Leiche.)

Oma wird Mitte Februar, so es die Person, die es in der Hand hat, will, 104 Jahre alt. Beim 105. kommt angeblich dann doch endlich der Bürgermeister. Auf dessen Besuch hat sie großen Bock.

Die Frau ist im 13. Jahr des vergangenen Jahrhunderts geboren. Den ersten Mann hat sie im Krieg verloren. Den zweiten hat sie mit der Last des Krieges auf der Seele ausgehalten. Die weiß, wovon sie spricht. Ich habe sie gefragt, was sie sich denn zum Geburtstag wünscht.

„Frieden.”

„Und dass wir alle lieb zueinander sind.”

Und wir sitzen daneben, wissen was da draußen in dieser Welt gerade abgeht und unser Herz bekommt Risse.

2017-01-14

Ich hätte heute übrigens …

… dem kleinen Baby-Großcousinenmädchen, das nächste Woche übrigens schon ein ganzes Jahr alt wird (und täglich süßer), beinahe im Winterschlussverkauf ein pinkfarbene Strumpfhose gekauft mit ebensolchen Herzchen, Glitzer unten auf den Füßen und natürlich ABS-Stopper. Habe es aber nicht getan.

Jetzt weiß ich nicht, ob ich eine besonders gute oder eine besonders schlechte Großcousine bin?

Babysachen für Mädchen gibt es übrigens – von mir gefühlt – wirklich nur in Rosa, ab und zu Rot und Beige.

Und damit der Genpool auch schön gefüttert wird, gibt es eine Stofftierkatze. Glücksfarbig.

2016-04-11

Fürchterliche Ego-Nummer

Ich habe für mein Leben die „egal ob mit oder ohne Partner-ich lasse mir ein Kind machen, weil ich ein Kind will” immer ausgeschlossen. Ich wusste, was es heißt das Kind einer alleine erziehenden Mutter zu sein. Ich kennen den Schmerz, Kind eines Vaters zu sein, der zwar da ist – es aber im Grund auch nicht ist, weil sein Interesse an der von ihm gezeugten Brut eher unteres Mittelmaß war.

Das verletzt ein Leben lang!

Ich lehne die künstliche Befruchtung für Personen, die nicht aus dem eigenen Lebensumfeld eine Elternschaft generieren können, ab. Und ich habe meine Gründe dafür:

Meine Mutter wusste bis zu ihrem 18. Lebensjahr nicht, wer ihre leibliche Mutter war (die sie nach einem kurzen Treffen, das im Streit endete, auch nie wirklich kennenlernte) und wusste zudem nie, wer ihr leiblicher Vater war. Vermutlich irgendein Soldat, der im Kriegsgeschehen rum fickte. Vielleicht war sie auch das Ergebnis einer Vergewaltigung. Natürlich hieß es angeblich der Mann wäre „Offizier” gewesen, wenn man schon mit einem unehelichen Gör zurück blieb, dann wenigstens von einem Mann mit von Rang – wenn schon ohne Namen. Schlussendlich wusste man nichts, man konnte sich die Herkunft nur schön träumen.

Nicht zu wissen, wo man zum Teil seine biologischen Wurzeln hat, das prägt ein Kind ein Leben lang und nimmt diesem Kind die Chance viele seiner Fragen jemals klären zu können. Das schafft unfassbar großes Leid bei diesem Menschen. Denn es beschäftigt Menschen irgendwann immer woher sie kommen und wenn man den Kindern, den Jugendlichen diese Fragen nicht beantworten kann – dann lässt man sie mit Schmerzen zurück, ein Leben lang. Dessen sollte man sich bewusst sein: man fügt seinem Kind Schmerzen zu!

Meine Mum hatte ihr Leben lang darunter gelitten, nicht zu wissen, von wem sie wirklich abstammte. Sie war – obwohl sie wahnsinnig liebevolle Pflegeltern hatten, die ihr eine – vom Kriegsgeschehen abgesehen – möglichst sorgenfreie, fast verwöhnte Jugend schenkte, eine in ihrem Inneren immer verunsicherte Person, die so viele Fragen hatte, die ihr niemand beantworten konnte! Nicht zu wissen, wer der Vater war, wie er war. Ob man Geschwistern hat. Zum Beispiel eine generelle Veranlagung von besonderen Talenten oder gar Krankheiten in der Familie – all das Wissen wird so einem Kind vorsätzlich untersagt. Und der Schmerz darüber, der vergeht nie. NIE! Und dieser Schmerz überträgt sich auch auf die Nachkommen einer solchen Person. Denn natürlich hat das meinen Bruder und mich ein großes Stück weit geprägt, denn auch wir bekamen Fragen zu unseren leiblichen Großeltern mütterlicherseits nie beantwortet. Es macht etwas mit einem, hier keine Historie zu haben.

Natürlich passiert es heute immer wieder, dass ein Kind gezeugt wird und der Partner auf Nimmerwiedersehen verschwindet. Aber das wissentlich zu tun? Wissentlich und mit Vorsatz das seinem eigenen Kind anzutun? Das ist schlimmster Egoismus per excellence meiner Meinung nach.

Meine Mutter hatte noch sechs Monate vor ihrem Tod darüber weinen müssen. Solche Menschen haben gar keine Vorstellung davon, wie sehr sie ihr Kind in ein leidvolles Leben zwingen! Und nein: sie werden diese Löcher in der Seele des Kindes nie schließen können!

Auch die Person in dem verlinkten Artikel (wenngleich sie sich vermutlich für eine Co-Elternschaft entscheidet, die keine Garantie ist) signalisiert sehr deutlich in ihrer Antwort auf die letzte Frage, dass sie eigentlich gar keine Ahnung hat. Liebe kann das Bescheidwissen längst nicht ersetzen. Und einem Kind irgendwann sagen zu müssen, es ist nicht in Liebe entstanden, allenfalls aus einem Wunsch heraus – das wird dem Kind nicht gut tun.

2016-04-07

Die kleine Großcousine …

… ist nun schon zehn Wochen alt und ist* ein perfekt speckiges, liebenswertes, tiefenentspanntes, extrem niedliches Baby. Gestern hat sie an ihrem ersten Foodbloggerevent teilgenommen und schien höchst angetan von ihrem neuen „Partyleben”.

*Sage ich und wer könnte mir da schon Voreingenommenheit unterstellen?

2016-01-19

10 Monate …

… hat der kleine Großcousin teilweise unwissentlich und teilweise wissentlich mit sehr viel Elan, Ehrgeiz, kindlichem Eifer, wilder Freude und lustiger Leidenschaft hart an seinem Update gefeilt, gearbeitet und knapp zwei Monate vor seinem vierten Geburtstag es fast überpünktlich – nämlich zwei Tage vor dem Termin – veröffentlicht. Jetzt ist dieser wundervolle kleine Mann ein:

Großer Bruder – von einer Nela!

(Und allen geht es gut!)

2015-09-17

Das Erbe

Im Sommer diesen Jahres saß ich mit meiner Cousine leicht ermattet auf einer Bank im Schatten auf dem Spielplatz und wir guckten dem kleinen Großcousin zu, der unerschütterlich trotz der irrsinnigen Hitze, nicht zu stoppen war in seinem Rennmodus. Und plötzlich waren wir mitten im Thema Sucht. Wir beide haben den gleichen Opa, der eindeutig spielsüchtig und alkoholkrank war, ich dessen einen Sohn zum Vater, alkoholkrank, sie den Bruder zum Vater, wo auch ausreichend konsumiert wird vom prozenthaltigen Nass.

Da saßen wir und unterhielten uns über unser Erbe, über unsere genetische Anlage für Suchterkrankungen.

Das Gespräch war kurz, dennoch intensiv und wurde immer wieder von dem süßen Fratz unterbrochen. Aber für mich war es fast wie eine Wohltat, denn zum ersten Mal konnte ich mit einer Person innerhalb meiner Familie sprechen, die wie ich den Blick auf diese Krankheit(en) hatte und wie ich sehr sorgsam bzw. bewusst mit dieser Anlage versucht zu leben. Ohne die Droge komplett abzulehnen, was sicherlich auch eine sehr nachvollziehbare Möglichkeit ist, damit umzugehen.

Ich trinke gerne Wein oder Sekt, selten einen Cocktail und nie – so diese Spirituosen nicht in einem Cocktail verwendet werden – härtere Alkoholika solo. Ein einziges Mal habe ich versucht, mich vorsätzlich zu betrinken. Das war ein unschönes Erlebnis, das mir aber verdeutlichte, dass es in meinem Leben ein sich betrinken bis zum Filmriss nie geben wird, weil ich in der Beziehung eindeutig nicht die Kontrolle abgebe. Ich mag alle Anzeichen übermäßigen Alkoholkonsums dann haben, aber mein Unterbewusstsein funktioniert noch und das ist eine für mich ganz unangenehme Situation, in der ich mich nie wieder befinden möchte. Aber: ich trinke gerne Wein oder Sekt, weil es mir schmeckt. Tatsächlich trinke ich bei Cocktails nur gerne solche Drinks wie Mojito oder Margarita – aber die, das weiß ich längst, kann man wirklich prima auch ohne Alkohol bestellen oder sich selbst machen. Zumal man in einem guten Cocktail den Alkohol nicht schmecken sollte …

Tatsächlich aber habe ich Alkohol nie unbekümmert genießen können. Schon als Teenager nicht. Als wir anfingen die üblichen Flaschenspiele mit Alkohol etwas auf zu peppen, bzw. uns die zu küssenden mitspielenden Klassenkameraden, die ohne Spiel wohl noch eine lange Weile auf ihren ersten Kuss hätten warten müssen, schön zu trinken. Immer hatte ich das Gefühl, eine/r müsse ja die Übersicht behalten, das war dann ich und selbst als sich im Laufe der folgenden Jahre abzeichnen sollte, wer von meinen Freunden hinsichtlich des Alkoholkonsum eindeutig nicht mehr eine gesunde Kurve bekommen sollte, schwieg ich, denn ich war in meinem Modus in dem ich von jüngster Kindheit an gezwungen worden war: Toleranz zur Sucht.

Nach dem Gespräch mit meiner Cousine, habe ich mir das Buch von Dennis Schreiber „Nüchtern” gekauft. Dessen Rezensionen waren mir in der letzten Zeit immer wieder untergekommen und – wenn auch nicht regelmäßig – habe ich ab und an seine Kolumne in der taz gelesen. „Nüchtern” liest sich hintereinander weg, es ist – und das meine ich sehr positiv als Kompliment – sicherlich das pragmatischste Buch, das mir zu dem Thema Alkoholsucht jemals begegnet ist. Was Herr Schreiber vor allem geschafft hat, obwohl er hier quasi sich eine eigene Biografie seiner Sucht und dem Leben danach mit ihr geschrieben hat, keinen übergriffigen Ratgeber abzuliefern. Etwas was viele solcher Biografien nicht gut hinbekommen. „Nüchtern” ist nämlich tatsächlich erstaunlich nüchtern geschrieben – und das macht für mich die hohe Qualität dieses Buches aus. Man kann es ganz losgelöst von der eigenen Person und ihrem Umgang mit Alkohol lesen. Im Hintergrund aber rumort und ackert es im Gehirn und interessanterweise hat sich mein Alkoholkonsum, seit ich das Buch binnen anderthalb Tage ausgelesen habe, in Richtung null entwickelt. Es gab zwei Mal Wein als eine Freundin hier in Berlin zu Besuch war, den habe ich auch sehr genossen. Nur: ich vermisse ihn nicht. Gar nicht.

Mir ist klar geworden, da ich eh nie in diesem Leben werde Alkohol trinken können, ohne zu hinterfragen, ob ich in die Richtung meines Vaters etc. tendiere, so dass die Freude daran immer eine getrübte gewesen ist und sein wird. Es fließt immer eine Spur schlechtes Gewissen meine Kehle mit hinunter. Und ich möchte dieses Gefühl einfach nicht mehr. Es war schlussendlich omnipräsenter als es mein Alkoholkonsum je war. Das Verhältnis hatte sich ganz merkwürdig verschoben. Und Daniel Schreiber beschreibt sehr eindrücklich wie sehr einfach man süchtig vom Alkohol werden kann oder ist. Selbst, wenn man ihn nur sehr wenig bzw. unregelmäßig konsumiert. Sagen wir es so, wer dieses Buch offen liest und sich selbstkritisch hinterfragen möchte und reagieren möchte, der wird der Alkoholindustrie künftig eher Feind als willkommener Kunde sein. Ich rede nicht von absoluter Abstinenz – aber wer nach Lektüre dieses Buches weiterhin jeden Abend zum Abendessen ein Bierchen trinkt, ist – so muss man es nun mal deutlich sagen – längst auf dem Tripp.

In der lustigen wöchentlichen Gesprächsrunde ist eine angenehme Person anwesend, die sich in den letzten Jahren von ihren Süchten befreit hat: Alkohol und Zigaretten, nacheinander. Momentan heißt ihre Droge Kaugummi. Sie erzählte diese Woche ihre Geschichte, die sehr sehr meiner eigenen Geschichte gleicht. Eltern und Geschwister voll auf dem Tripp bis hin zum Exitus der Mutter, die Schwester lebt noch, scheint es aber der Mutter nachmachen zu wollen. Und mittendrinnen sie, die mit ihren eigenen Dämonen kämpft, sich sorgt und im Grunde so diese Droge einfach auch nicht loswerden kann.

Dieses Gespräch hat in mir ganz viel aufgeweckt und wieder bewusst sein lassen; vor allem begreifen lassen, was das alles mit mir und meinem Leben angestellt hat. Die Sucht in meiner Familie.

Ich war knapp vier Jahre alt, da stand ich mehrmals nachts vor meiner Mutter, die, nachdem mein Vater sie schon nachts im Suff verprügelt hatte, schützend in unserem Schlafzimmer vor meinem Bruder stand, den mein Vater nun als nächstes verprügeln wollte. Mich hatte er – aus welchen Gründen auch immer – nicht angerührt und ich weiß, dass ich als Kind das unerschütterliche Wissen hatte, das er das auch nicht tun würde. Also stand ich vor meiner Mutter und meine Bruder und beschützte sie vor meinem Vater. Meine Kindheit endet ungefähr zu diesem Zeitpunkt. Mein Bruder wirft mir heute noch vor, dass mein Vater mich nie angerührt hätte. Als hätte ich daran schuld.

Ich wurde also mit knapp vier Jahren in die Position gehoben, die Schlimmes verhindern konnte. Ich wurde zu einer kleinen Person, die sich um ihr Umfeld sorgte und kümmerte. Ungefähr zu diesem Zeitpunkt war meine Kindheit vorbei. Heute weiß ich, seit ich im letzten Jahr begriffen habe, das ich wohl das bin, was man hochsensibel nennt, dass ich ungeheure Antennen hatte hinsichtlich der Stimmung in meiner Familie. Ich kann mich so genau erinnern, dass mein Vater unten die Haustür öffnete (wir wohnten im vierten Obergeschoss!) und ich da förmlich spürte, in welcher Verfassung, ob besoffen und (noch) in Schmuselaune oder besoffen und schon aggressiv war und versuchte die restliche Familie darauf einzustimmen bzw. krampfhaft mich bemühte, dass wir ab jetzt bloß nichts falsch machten.

Übrigens möchte ich heute noch Menschen, die im Suff zu mir kommen und zu mir besonders nett „schmusig” sein wollen, töten. Die anderen auch. Nichts ist schlimmer für mich als wenn ein Mensch, egal ob bekannt oder unbekannt vor mir steht und mit verschwommenen Blick und unklarer Haltung von mir Zuneigung einfordert, weil der Suff diese Person gerade besonders empfänglich dafür macht. Daran ist nichts niedlich, lustig oder verständlich. Bitte: geht mir weg!

Mein Vater hatte meine Mutter in diesen Zuständen zum Sex gezwungen. Damals nannte man das übrigens – weil Eheverhältnis – nicht Vergewaltigung.

Jahre später, meine Mutter hatte sich von meinem Vater getrennt und nach einer bitteren beruflichen Odyssee als Alleinerziehende eine Weiterbildung zur Arzthelferin gemacht und schien beruflich ein bisschen angekommen zu sein, kompensierte sie aber dennoch bereits zu diesem Zeitpunkt ihre persönliche Unzufriedenheit über ein ordentliches Maß an Hypochondrie.

Ich war die einzige Person im Haus, die damit zu leben hatte. Mein Bruder hatte sich zu unserer Großmutter in die häusliche Bequemlichkeit verabschiedet. Über die natürliche Liebe zur Mama hinaus, war sie schlussendlich die einzige Person, auf die ich mich irgendwie verlassen konnte, also sorgte ich mich sehr um sie. Ich hätte gefühlt niemanden gehabt, wäre sie mir auch noch weggebrochen. So einen Bruch hatte ich zu diesem Zeitpunkt bereits mehrfach erlebt, zum einen mit der Scheidung, die mein Vater nutzte, sich jetzt nicht mehr allzu aktiv mit uns Kindern beschäftigen zu müssen und dem Tod meines, wirklich heiß geliebten aber eben alkoholsüchtigen Opas und meiner Oma. Meine Welt war einfach relativ früh nicht mehr so ganz in Ordnung. Shit happens.

Das berufliche Umfeld und die Neigung meiner Mutter sich ganz gerne über, manchmal vom Arzt diagnostizierten, manchmal sich selbst verordnete Diagnosen zu definieren, ließen sie sehr leicht an Medikamente zu kommen und die schluckte meine Mutter dann auch stellenweise sehr gerne und in Mengen. Ich lebte als dreizehnjähriges Mädchen mit meiner Mutter und ich sehe sie heute noch morgens in der Küche stehen, während ich am Frühstückstisch saß, und sie sich neben der Kaffeemaschine stehend ihren ersten Pillencocktail zu genehmigen. Die Pille nahm sie dann abends im Bad. Und mehr. Bei uns lagen, seit ich denken konnte, offen Tabletten herum. Ich ahnte, dass das alles nicht so sein sollte, wie es war und hatte einfach schreckliche Angst um meine Mama. Und da war niemand mit dem ich darüber hätte sprechen können, denn mein soziales Umfeld bescheinigte mir immer sehr früh, dass ich so ein vernünftiges, kluges, umsichtiges und verantwortungsvolles Kind sei. Klar, war ich das. Ich hatte ja zu funktionieren, während es alle anderen um mich herum nicht oder phasenweise nur sehr eingeschränkt taten.

Allerdings muss ich sagen, dass meine Mutter auch immer auf ihre Weise „funktionierte” – auch über ihren eigenen Kräfte hinaus. Nur ich war es, die eben immer mitbekam, wenn diese Kräfte abwesend waren. Spätestens dann war ich gefordert. Ich war oft erster und einziger Ansprechpartner, denn ich kannte mich in unsrem Leben aus, vor allem in der familiären Situation. Ich hatte Verständnis, ich teile die Sorgen, um den Bruder, um das Geld, um die Arbeit meiner Mutter, um die sie betrügenden Liebhaber meiner Mutter. Also hatte ich auch Verständnis für die „Krankheiten” meiner Mutter. Ich glaube, in meinem Gehirn hatte sich seit zwei Jahren die Sorge formuliert, dass meine Mutter eigentlich tablettensüchtig sei. Nur: ich kannte damals das Wort noch gar nicht als vielleicht gerade mal Dreizehnjährige.

Ein Jahr zuvor hatte sich meine Großmutter suizidiert, dieser schreckliche Umstand trieb meine Mutter in die Depression und somit in die medikamentöse Behandlung mit Psychopharmaka (damals waren diese deutlich als etwas anderes zu begreifen, als heute). Und wie schon gesagt, sie kam an den Stoff heran. Ich hielt das aus, ich hatte – wie mir mein Umfeld andeutete – stark zu sein für meine Mutter. Und außer meiner Mutter fragte mich eigentlich nie jemals jemand, wie ich denn mit dem Tod meiner Oma zurecht kommen würde? Ich dealte mit dem Suizid meiner Oma, wobei Suizide in den 70iger noch eine etwas andere Nummer waren als heute (schon alleine für die Hinterbliebenen im Image) und mit der Depression meiner Mama. Zum Trost durfte ich damals endlich eine Katze haben, die ich mir gewünscht hatte seit ich denken konnte. Katze also für Kindheit, vielleicht macht das deutlich, warum mir diese niedlichen Viecher heute noch immens wichtig sind!

Als Fünfzehnjährige habe ich all meinen Mut zusammen genommen und ihr gesagt, dass sie zu viele Tabletten nimmt und ich Angst habe, das sie wie mein Vater wird (der mittlerweile dank diverser Entzugstherapien auch wirksame Tabletten zu sich nahm – und weil es schöner knallte weiterhin MIT dem Alkohol.) Dank ihm hatte sich zwischenzeitlich das Wort „tablettensüchtig” in unserer Familie etabliert und ich konnte ahnen, dass der Begriff etwas ambivalent in seiner Bestimmung war. Zumindest machten die Tabletten meinen Vater mehr und mehr zu einem Quartalstrinker, was an sich ganz positiv war. Er war zwar ständig unter Tablettenstrom – aber dann prügelte er sich wenigstens nicht mehr. Mein Bruder, zu diesem Zeitpunkt bereits volljährig, hatte mittlerweile eine stattliche Alkohol- und Drogenkarriere nicht nur angestrebt, sondern war bereis gut im Vollzug. Das war dann eben so in unserer Familie, „er kam halt nach seinem Vater.” Schrecklich, aber voll legitimiert. Und alle bitteren Konsequenzen, die sich daraus ergaben, wie Sorgen, Kosten oder Gerichtsverfahren und deren Kosten, schmetterte die Familie in ihrem besonderen Einvernehmen der Sucht gegenüber gemeinschaftlich ab, damit dem armen Jungen, „der ja bloß nach seinem Vater kam und dafür nichts konnte” bloß nicht so etwas wie Gefängnis passierte. Der Rest dann schweigen. Ich hielt aus.

Aus diesen Sorgen heraus rief ich nun meiner Mutter sehr tief verzweifelt zu, ich hielte sie für tablettensüchtig! Eine Sorge übrigens, die meine Mutter mich schon öfter hatte unserem Hausarzt vorstellen lassen, um meine akuten wiederkehrenden Magenschmerzen zu behandeln. Ich bekam also bereits in diesem Alter eine Runde legaler Drogen verabreicht, die meine Magenschleimhaut wieder reizlos werden machen sollte und meine Mutter hielt mich im Grund für ihren „Partner in Crime”, der nun erstmals aufbegehrte.

Nun sprach ich also aus, was mich bekümmerte – da war aber was los! Natürlich lag ich völlig falsch, denn sie nahm die Medikamente ja nur, um arbeiten zu können; vor allem um mir ein gutes und ruhiges Leben gewährleisten zu können. In der Folge versuchte sie mich psychiatrisch therapeutisch – wegen der chronische Gastritis an der ihrer Meinung nach vorrangig mein Vater schuld war – unterzubringen, was ich ihr untersagte. Also ich ging einmal ihr zuliebe zu einer jugendlichen Gesprächsrunde und wollte das nicht für mich. Ich erlaubte mir also keine Gastritis mehr zu bekommen bzw. thematisierte meine Magenschmerzen einfach nicht mehr. Tatsächlich aber nahm meine Mutter danach doch deutlich weniger Tabletten zu sich. Jedenfalls solange ich bei ihr lebte. Der unausgesprochene Deal aber dann war, dass ich mich deutlich mehr um sie zu bemühen hatte und ihr das Leben zu erleichtern hatte, wenn sie wieder Krankheiten und Gebrechen züchtete.

Ich tat das. Denn ich war ja vernünftig. Und ich trug die Verantwortung, das war ich gewohnt! Sagen wir es ganz deutlich: wenn ich etwas besser konnte als alles andere zu dieser Zeit, dann Verantwortung tragen. Das Schlimmste für mich war, meine Mutter leiden zu sehen. Und sie litt körperlich so gerne – auch außerhalb jeden realen Leidens. Tatsächlich war meine Mum jenseits der traurigen Phase nach Selbsttötung meiner Großmutter immer ein sehr vitaler, lebenslustiger und fröhlicher Mensch. Aber sie hatte den todbringenden Männerschnupfen für sich erfunden!

Ich setzte zu dieser Zeit für mich eigene sehr stille Signale. Das war die Zeit, im Grunde begann sie kurz bevor ich auf's Gymnasium kam, dass ich still und heimlich für mich erschöpft war. Nach außen galt ich als introvertiert, was ich nie war, ich mochte all meine Freunde und Freundinnen sehr. Aber wenn ich die Chance hatte, Ruhe und Stille zu haben in unserer Wohnung, weil meine Mutter arbeiten war, dann brauchte ich diese Zeit tatsächlich für mich. Das wurde eben auch verstärkt durch diese Hypersensibilität. Alltag ist etwas, was mich viel früher und mehr ermüdet, als andere Menschen. Leider musste ich nun 49 Jahre alt werden, um das verstehen zu können – und ohne mich als ständige Versagerin zu fühlen, weil ich in der Beziehung so anders bin als andere.

Nachdem meine Mum vor nun neun Jahren gestorben war, zudem in einer in unserem Verhältnis sehr schwierigen Phase – ich habe meine Mama immer sehr geliebt aber ich konnte damals schlicht nicht mehr das Ventil sein für ihre Hypochondrie – und ich ihre Wohnung soweit aufräumte, habe ich drei (!) Schubladen vorgefunden in der Größe einer Ikea-Malm-Komode, breites Modell: voller Medikamente. Völlig unsortiert. Eine vierte Schublade, die den Anschein hatte von ihr abgewählte Medikamente zu beherbergen. Nur im Schlafzimmer. Küche und Bad lassen wir außen vor.

Die letzten Jahre, gut ein Jahrzehnt, habe ich also damit verbracht Schuldgefühle mit mir herum zu schleppen, weil ich offensichtlich nicht bemerkt hatte, dass sie weiterhin Tabletten konsumiert haben muss. Sie im Grunde ihr Ding genauso weiter gelebt haben wird, nachdem ich ausgezogen war. Vielleicht hatte sie nach meinem Ausbruch als Fünfzehnjährige bloß aufgehört die Tabletten vor mir zu nehmen. Natürlich hatte sie später wirkliche Diagnosen, deren Ursprung sicherlich in der einen oder anderen jahrelangen Medikamentation gelegen haben dürfte; aber eben auch altersbedingte Diagnosen, die eine Medikamenteneinnahme tatsächlich notwendig machten.

ICH habe also die Tablettensucht meiner Mutter nicht bemerkt bzw. ich habe ihr vertraut, obwohl ich es hätte besser wissen müssen, sehen müssen. Das muss man aushalten, wenn man schon als sehr kleines Kind mitbekommt, dass man die Verantwortung für die anderen, auch vor allem für die Eltern, auf allen möglichen Ebenen zu tragen hat. Und mit diesen Selbstvorwürfen muss ich nun leben. Denn sie sind nicht mal eben abzulegen, nur weil andere Leute, darunter auch professionell ausgebildete Menschen, mir sagen, das sei im Grunde nicht mein Bier (super Kalauer mit diesem Textbezug, oder?). Natürlich weiß ich das mittlerweile auch – aber es ist ein ganz schwerer und harter Weg das auch wirklich umzusetzen. Und immer wieder gibt es da Momente, wo im bereits gegangenen Weg an irgendeiner Stelle zurückgespult wird und ich wieder neu ansetzen muss. Verantwortung trage ich eigentlich immer für andere. Für mich? Ganz anderes Thema. Sehr neues Thema.

So einen Moment hatte ich nun diese Woche als diese patente Frau von ihren Süchten und ihrer Familie sprach und ihrer Schwester und ich begriffen hatte, dass ich nie damals mit meinem Bruder über seine Sucht gesprochen hatte beziehungsweise ihn angesprochen hatte und mich sofort wieder als Versagerin und ganz mies fühlte und mich das Gefühl überkam, mich nicht genug auch um ihn gekümmert zu haben. Als Kind. Keine oder nicht ausreichend Verantwortung getragen zu haben für ihn. Als Kind. Der er dreieinhalb Jahre älter war. Also ich das deutliche jüngere Kind.

Zumal er mir heute noch vorwirft, dass ich ja im Gegensatz zu ihm keine Prügel von unserem Vater bekommen habe. Als ob ich dafür etwas könnte oder mir das jemals so ausgesucht hätte. (Tatsächlich ist das nämlich, bei allen Vorteilen, auch ganz schön mies als einzige Beteiligte von der Prügel innerhalb einer Familie ausgeschlossen zu werden. Richtig: ausgeschlossen. Da wird man nämlich ungefragt ausgeschlossen aus dem Leidensverband! Quasi alleine aufs Boot aufs offene Meer gesetzt, während sich alle anderen aneinander ketten dürfen im gemeinsamen Leid.)

Und nachdem ich dann diese Woche da saß und heulte, wurde mir dann doch bewusst, dass ich genau nicht die Verantwortung zu tragen habe dafür, wie mein Bruder sein Leben gestaltet hatte. Was ein echtes Novum war in meiner Gedankenwelt und was mir zeigt, dass ich – mit nun demnächst fünfzig Jahren auf dem Rücken – offensichtlich langsam auf einen für mich besseren Weg bin.

Das ist ein sehr langer Text geworden. Und er ist sehr intim. Und ich danke Euch Lesern, die bisher durchgehalten haben! Aber da mein Blog für mich in der Vergangenheit immer auch ein Stück therapeutisch war, war für mich einfach wichtig das einmal zu virtuellem Papier zu bringen.

Worum ich aber wirklich inständig bitten möchte, vor allem Euch Eltern oder Großeltern: wenn Ihr ein Suchtproblem habt (und das beginnt viel früher als sich die meisten Süchtigen eingestehen möchten oder können) dann kümmert Euch BITTE um Euch und lasst nicht zu, dass sich Eure Kinder oder Enkel – egal wie jung oder schon alt – sich um Euch kümmern und sorgen müssen! Diese Last zu tragen, ist so sehr das Leben beeinflussend und wer seine Kinder liebt, sollte ihnen das bitte nicht zumuten!

Und jetzt brauche ich einen Kaffee! Meine Sucht.

2015-07-21

Meine Mum! Neun Jahre †

Heute von neun Jahren stand nachts die Polizei in der Tür, um mir mitzuteilen, dass man meine Mum tot aufgefunden habe. Neun Jahre. Das ist immer noch so unfassbar. So unwirklich. So viel hat sich, hat mich verändert in diesen Jahren.

Liebe Mum, danke für alles! Und: I hope you dance!

2015-06-28

Das Leben als Großcousine …

… finde ich übrigens bonfortionös.

• Erst einmal kann man dem Großcousin viel mehr erlauben als seine Eltern, denn man ist ja die Großcousine und somit für den Spaß zuständig und nicht sooo sehr für die Erziehung.

• Man hat mit einem Großcousin ein prima Alibi für eine immer mit Eis gefüllte Schublade in der Gefrierkombi

• Man kann sich auf das Balkonkissen setzen, dabei Furzgeräusche machen und sich vom giggelnden Großcousin immer wieder auffordern lassen „Pups nochmal”, es noch mal und noch mal, noch mal und noch mal und noch einmal zu wiederholen.

Sich auf ein Kissen zu setzen, Furzgeräusche zu machen vor einem sich schief lachenden Großcousin macht sehr viel Spaß!

2015-03-11

Der Großcousin

wird morgens übrigens vier obwohl er erst drei wird. Aber er mag die Zahl drei nicht und überspringt sie beim Zählen und drei Finger zeigen möchte er auch nicht. Eigentlich wollte er morgen schon fünf werden aber wir haben ihn dann gestern noch mal auf die Vier runterhandeln können.

2015-02-08

Meine Cousine …

… erzählt mir, wie sehr sie sich auf das Weihnachten in diesem Jahr freut, denn dann ist der kleine Großcousin fast schon vier Jahre alt und natürlich kann man mit ihm dann Weihnachten schon ganz anders zelebrieren als dieses Jahr, als ihn wohl hauptsächlich die Krippe, die man aufziehen kann, richtig zu interessieren schien. Sie freut sich darauf, wenn er mehr von der Bedeutung der vielen Dinge drum herum mitbekommt, z. B. wer überhaupt dieser Weihnachtsmann ist und was er will.

Da steht der kleine Zwerg im Raum und meint trocken: „Der Weihnachtsmann ist Papa.”

Wir werden noch viel Freude mit dem jungen Herren haben. Wir haben dann gestern Abend just for fun und weil's langsam Zeit wird (und ich zufällig das Equipment da hatte) die erste Ostereier-Schmücksession 2015 angesetzt. Die Definition wer der Osterhase ist, steht allerdings noch aus.

2014-08-27

Der kleine Großcousin …

… wohnt um die Ecke und ich klingelte gestern zurück kommend vom Engelbecken nach einem netten Café am Wasser gemeinsam mit einer Freundin bei meiner Cousine, um ihr endlich die für sie bei Müller Nähmaschinen erworbene Magnetsaumführug zu schenken. Meine Cousine näht auch relativ frisch und dieses Gerade nähen ist am Anfang so einfach noch nicht.

Die Cousine freut sich, der kleine Großcousin freut sich auch über den Besuch knapp vor Badewanne und wir beschließen alle gemeinsam noch eine Runde um den Block zu drehen, die mit einem Glas Wein auf meinem Balkon enden wird, für den kleinen Großcousin endlich mit der Zusammenführung der Katzen.

Als wir los laufen, gucke ich ihn mir an: er trägt eine neue, sehr schicke Röhrenjeans, neue Puma-Sneaker in weiß-senfgelb und dazu einen weißblau quer gestreiften Kapuzenpulli. Er sieht für einen Zweieinhalbjährigen extrem schick aus und ich bewundere als erstes seine neuen Schuhe. Das findet er wiederum so passend und korrekt, dass er sich umdreht, sich mir (erstmals) in die Arme stürzt und sich ab diesem Moment tragen lässt. Der kleine Großcousin ist ein cleverer kuschliger Tragefratz. Er macht es einem sehr viel leichter, weil er einem dabei den Nacken streichelt.

Bis wir über die Straße gehen und den kleinen Weg zu meiner Wohnung hoch, wiederholt er aufgeregt „Katze! Katze”. Er mag Katzen, das ist längst bewiesen, hat aber auch erstaunlich hohen Respekt vor ihnen. Der kleine Großcousin hat im übrigen seit dem Sommerurlaub vor einigen Wochen bei seiner Familie väterlicherseits in Kroatien die Sprache für sich entdeckt. Kurz: er haut nun einen Korken nach dem anderen raus. Es ist ein tolles Alter. Vor allem für die, die ihm zuhören dürfen.

So sitzt er im Treppenhaus vor der offenen Tür im Türrahmen, guckt verzückt auf eine Shiina, die sich erstaunlich unerschrocken vor ihm auf dem Boden wälzt, guckt an die Decke meines Flures und gesteht uns allen: „Schöne Wohnung!” Dann blickt er begeistert auf die kleine graue Katze, die immer noch keine Sorgen wegen ihm zu haben scheint (Nacktkatzen-Training wirkt) und stellt fest: „Katze! Katze!”, und nach einer Weile „viel Katze”. Bei Shiina eine sehr zutreffende Anmerkung – auf mehreren Ebenen.

Wenig später, die Shiina ist mit dem Abendessen in einem Raum beschäftigt, stellen wir ihm die beiden anderen Katzen vor, die nun auch gemeinsam über dem Fressnapf hängen und erstmals bildet er für sich im Leben sprachlich bewusst den Majestic Pluralis Premiumcontentalis: „Zwei KatzeN”.

Seine Mama zeigt sich tief ergriffen. Sie ist Wirtschaftsprüferin; er kann zählen, das ist nun bewiesen.

Wir hatten im Folgenden noch viel Spaß mit ihm, einer ihrer Bestimmung zugeführten müffelnden Windel, wobei er viel Freude bewies, was immer ich ihn „Stinkebär” nannte und seiner sekündlich zunehmenden Müdigkeit, die sich ausgeprägt in einer immer lustiger werdenden Motorik erkenntlich zeigte. Überhaupt scheint er nun begriffen zu haben, dass ich nicht nur die Frau bin, die man gelegentlich im Supermarkt am motorisierten Auto trifft sondern, dass ich eine bin, auf der man ganz gut rumkrabbeln und steigen kann.

Im übrigen habe ich den kleinen Mann noch nie quenglig erlebt. Sonnenschein. Aber hallo!

2014-05-18

Meine Mum …

… hatte ein ganz besonderes Talent: sie konnte nämlich die weltbeste Einbrenne für Eintöpfe machen, die es gab. Sie hatte die nämlich immer so gemacht, dass später in dem Eintopf irgendwo kleine Mehlklumpen auftauchten. Und die habe ich immer besonders geliebt! Wenn so ein Mehl-Fett-Klumpen ungeahnt auf der Zunge zerläuft. Hach!

Nun ist mir klar, dass man klumpige Einbrenne aus Kochsicht eher als einen Bug denn als ein Feature bezeichnen würde, das Mehl soll ja binden und nicht als solches in der Suppe auftreten. Und natürlich darf man auch niemandem erzählen, dass meine Mum eigentlich mal eine Hauwirtschaftlerinschule besucht hatte.

Aber ihre Einbrenne war einfach wundervoll, ist angesichts der Klümpchen unerreicht. Und ich kann das leider überhaupt nicht.

Daran musste ich eben denken, als ich die Einbrenne in den Kohlrabi-Eintopf rührte. Dabei machte ich das genauso wie meine Mama, Einbrenne in den Topf einrühren mit der Kelle noch etwas Brühe in die Pfanne und ausschwenken … aber nie gibt es Klumpen.

Ich bin der Klumpenmacherei einfach nicht fähig!

2013-11-13

Heute einen …

… der vorvorvorletzten Umzugskartons ausgepackt. Einen mit Fotos bzw. den diversen Unterlagen meiner Mutter anlässlich ihres Todes. In den Unterlagen dieses Foto von meiner Oma gefunden. Ich bin so stolz auf sie. Und wie gerne würde ich mich wieder mit ihr unterhalten können.


2013-10-19

Heute reicht mir …

… mein Bruder den Hörer an meine Nichte weiter und sie spricht mich zum ersten Mal mit „Claudi” an. (Reicht mich aber kurz danach wieder an meinen Bruder weiter, denn sie hatte mit Papier und Malstiften Wichtigeres zu tun.)

Meine Nichte wird zwölf Jahre alt und ist schwer geistig behindert. Ich hätte nie in diesem Leben darauf gezählt, dass sie jemals meinen Namen aussprechen können würde.

Da können einem schon mal die Beine schwach, das Herz ganz weich werden und die Tränen in Bächen strömen.

2013-05-20

So einfach ist das.

Den Bruder angerufen und zum Geburtstag gratuliert. Der mir erzählt, seine Tochter, meine Nichte, 11, hätte „Herzlichen Glückwunsch” zu ihm gesagt. In ihrer eigenen Sprache. Da hätte er geweint.

Meine Nichte wird nie in der hiesigen Sprache „Herzlichen Glückwunsch” sagen können. Und sie tut es dennoch. So einfach ist das nämlich.

Wir pfeifen in dieser Familie auf die Normen!

2013-03-16

Seine Gene

Das ist der Uwe. Seines Zeichens mein Paps.

Während ich auf die Welt kam und gefühlt mein erster bewusster Gedanke war „Ich will eine Katze haben!”, der mich die nächsten zwölf Jahre so erst mal nicht weiterbringen sollte, tat mein Vater direkt nach der Trennung von meiner Mum das einzig Sinnvolle. Er brachte sich, noch vor der neuen Freundin – seiner späteren zweiten Frau und einer tollen Stiefmutter –, einen Kater mit von der Baustelle. Hier bewies mein Vater selbstverständlich hohen Sachverstand und außergewöhnlichen Geschmack; denn er trug nicht nur heutige Hipsterschaukel vor dem Mund, sondern erwählte sich einen Kuhkater, wie wir alle wissen die Elite aller Katzen, und nannte diesen sehr sehr weltmännisch „Felix”.



Von meinem Papa habe ich gelernt: die Katze gehört ins Bett!

Die kleine schwarze Katze auf der linken Seite des zweiten Fotos, elegant im Würgegriff getragen, ist Püppi. Püppi war die Tochter meiner ersten Katze Sweety, die noch als sehr junge, kleine Katze zu uns (dann endlich, endlich!) kam und sich bei uns einige Wochen später – selbstverständlich völlig unberührt und wie durch ein Wunder – vervielfältigte. Püppi, die Zweitgeborene, zog dann bei meinem Papa und neuer Freundin ein. Zu dem Zeitpunkt lebten bei ihnen noch eine Maus (umgezogen aus meines Bruders Schule in meine Puppenstube zu unserem Opa von meiner Oma zwangsverwiesen) in der Butterdose und viele Fische im Aquarium und ein Hase mit Felix und Püppi frohen Mutes (den brauchten sie ja auch) unter einem Dach. Später wuchs noch ein brauner Tiger namens Odin nach.



Ihr seht also, es lag in meinen Genen. Ich kann wirklich nicht dafür. Er ist schuld. Und Oma. Aus mir konnte gar nichts anderes werden!